Downing Street - Tafelsilber verscherbelt

Wurde die Seele von ITIL® verkauft?

Downing Street - Tafelsilber verscherbelt
Downing Street – Tafelsilber verscherbelt

Seit dem 22. April 2013 ist es Gewissheit, was schon seit längerem angekündigt wurde. ITIL® wurde zu 51% an die Firma Capita plc verkauft. In einem mit dem Cabinet Office gemeinsamen Joint Venture ist geplant, per Anfangs 2014 ein neues Unternehmen zu gründen, das die Weiterentwicklung der Best Practice Management Framewoks ITIL® und PRINCE2®, respektive alle unter dem Swirl-Logo aufgeführten Rahmenwerke vorantreiben soll. Der Name des neu zu gründenden Joint Venture ist derzeit noch nicht bekannt, wohl aber die Absicht seitens der englischen Regierung: Wohl gegen 500 Millionen Pfund soll dieser Deal über die nächsten 10 Jahre in die darbende Regierungskasse spülen. Das ist ein Mehrfaches – schätzungsweise 5-6 Faches – von dem, was heute so an Lizenz-Gebühren abfällt. Da muss also was gehen.

Capita plc, ein in UK führendes Unternehmen mit Fokus auf Geschäftsprozessmanagement und Outsourcing hat den Zuschlag für die vom Cabinet Office geleitete Ausschreibung gewonnen. Offenbar wurde man mit Capita fündig, wie aus dem Hit “ITIL” noch mehr Geld gemacht werden kann.

Rein aus ökonomischer Sicht kann ich so eine Transaktion grundsätzlich gut heissen. Der britische Staat ist da auf einer Perle gesessen, welche sich einerseits im Markt zum Knüller entwickelt hat. Andererseits kann der Staat als Gralshüter der Marken ITIL® und PRINCE2® die notwendigen Massnahmen zur sinnvollen Weiterentwicklung nicht selber wahrnehmen, ohne viel investieren zu müssen. Was liegt einem da näher, wenn die Kassen leer sind und der britische Staat sich nicht als Wächter der IT Best Practices versteht, als hier einen potenten Käufer zu finden.

Aber ich frage mich wirklich, ob da die Rechnung nicht ohne den Wirt gemacht wurde. Obschon die Eckwerte dieser neuen, noch zu gründenden und zu spezifizierenden Joint-Venture-Organisation zum jetzigen Zeitpunkt nicht bekannt sind, dürfen bestimmt einige Zweifel angebracht werden, ob die Story so einfach fortgeschrieben werden kann.

Wer steht heute hinter ITIL?
Wir kennen alle die Historie von der Entstehung von ITIL, welche weit in die 80er Jahre zurückreicht. Nicht wenige erzählen gerne noch von der Geschichte von den Falklandkriegen, welche als Auslöser Ereignis gedient hat und welchen Margrit Thatcher zum Anlass genommen hat, die Praktiken in einem IT Betrieb gemeinsam mit allen Herstellern von Computerherstellern zu hinterfragen. Diese Geschichte ist natürlich ein Märchen – aber es erzählt sich so spannend.

Was aber wirklich wichtig und spannend ist, ist der Effekt, welche mit der Publikation der IT Infrastructure Library, der ITIL Booklets ausgelöst wurde. Es wurde ein Vakuum gefüllt, was bis dahin für die IT nicht existent war – respektive nicht als wichtig wahrgenommen wurde: Der IT Betrieb mit der Verantwortung der Nutzungsphase für das Business. Die internationale Gemeinschaft gestützt von verschiedensten Protagonisten aus der IT Industrie haben den Ball aufgenommen und die Weiterentwicklung von ITIL zu den Version 2 und 3 vorangetrieben. itSMF als Trägerverein hat die Bedürfnisse der Nutzer und Anbieter mit koordiniert und ITIL zu dem gemacht, was es heute ist.

Viele zig-tausend Freiwillige spinnen das Gedankengut von ITIL weiter und helfen, die Prinzipien und Grundsätze in die Kundenorganisationen zu transportieren. Irgendwie haben alle, welche hier mitgewirkt haben dies auch aus einem einzigen Gefühl herausgetan: ITIL gehört uns allen und wir machen es für einer besseren IT-Welt, in der der Kunde im Mittelpunkt steht – und nicht die Technik. Es ist schon lange nicht mehr die britische Regierung, welche in ihren Beamtenräumen über die Zukunft der Service Management Disziplinen in der Welt nachdenkt.

Der britische Staat war aber bis anhin der Garant dafür, dass die Marke ITIL nicht missbraucht wird. Irgendwie fühlte man sich auch etwas sicher in dieser Konstellation, da es für alle Beteiligten am ITIL-Markt gleich lange Spiesse gab. So war sich beispielsweise Stuart Rance von HP oder David Cannon (HP, dann BMC, jetzt Forrester) oder auch Colin Rudd von IT EMS nicht zu schade, wesentlichen Input für moderne Service Delivery Bedürfnisse einzubringen. Oder auch die verschiedenen Unternehmen, welche die Autoren für die Dokumentation der Best Practices beigesteuert haben. Werden sie all das in Zukunft weiterhin so bereitwillig tun, wenn das Ergebnis einem Mitbewerber alleine gehört?

APMG und TSO – wie sieht die Zusammenarbeit in Zukunft aus?
Ende 2013 laufen die Verträge mit APMG und TSO aus. APMG hat in den vergangenen Jahren seit der Version 3 vor allem Akkreditierung der Trainingsorganisationen koordiniert und das ITIL Prüfungswesen überwacht und geleitet. TSO hat die Publikation der ITIL-Kernbücher und Supplemente geleitet. Das Cabinet Office hat dies bereits 2007 mit der Publikation der Version 3 so vorgesehen, um etwas mehr Professionalität in die Betreuung dieser Marke zu erhalten. Einiges wurde versprochen und wenig wurde gehalten. Zum Beispiel sollte auch eine für die Community frei zugängliche Online-Plattform bereitgestellt werden. Das Resultat ist eine mehr träge als dynamische Plattform geworden, welche zudem noch sehr kostspielig ist.

Die Ausbildung hat auch nicht das gehalten, was man sich versprochen hat. Abgesehen von den ITIL Foundation Zertifikaten konnte aus den Intermediate-Modulen und Expert-Zertifikaten nicht das notwendige Rüstzeug vermittelt werden, das Spezialisten zur Umsetzung der Best Practice Ansätze so dringend brauchen.

Capita hat in einer ersten Stellungnahme klar zum Ausdruck gebracht, dass sie selbst in das Akkreditierungsgeschäft einsteigen will und Schulungen anbieten wird. Capita möchte auch die Ausbildungsmethoden radikalisieren und vermehrt Simulationen oder digitales Lernen unterstützen. Dabei sollen entsprechende Produkte für künftige Trainingsorganisationen bereitgestellt werden. Mit der Akquisition von G2G3 – ebenfalls in diesem April, kurz vor dem ITIL-Deal –  kann man sich nun gut vorstellen, in welche Richtung es geht.

Dass APMG und TSO hier noch eine Rolle spielen werden, daran zweifelt wohl niemand. Aber bestimmt eine andere.

Was bringt uns die Zukunft?
Diese Frage lässt sich wohl nicht wirklich einfach beantworten. Aber es kann ein jeder eins und eins zusammen zählen. Capita wird aus dem Deal ein Business machen müssen – schon nur um die Einnahme-Ansprüche der britischen Regierung erfüllen zu können. Capita wird alles daran setzen, den gemeinsamen Geist, der ITIL umgeht aufrechtzuerhalten und das Blaue vom Himmel versprechen, dass alles besser wird. Es wird sich einiges an der Art der Auslieferung von ITIL-Inhalten und der -Trainings verändern. Hören und sehen Sie dazu auch den Video-Postcast vom ITSM-Review. Insbesondere will man vom passiven Lernen (Learning by listening), wie das heute bei vielen Trainingsorganisationen praktiziert wird hin zum aktivem Lernen wechsen (Learning by doing). Wir dürfen gespannt sein. Wer die Glenfis kennt, weiss, dass dies schon seit jeher unser primäres Trainingskonzept gewesen ist.

Capita will nun in monatlichen Abständen über die weitere Entwicklung der Zusammenarbeit berichten. Ein erstes Bulletin ist bereits erschienen.

Weitere kritische Stimmen im Web zur aktuellen, unklaren Situation:

Wurde die ITIL-Seele verkauft: Copyright Taz.de
Wurde die ITIL-Seele verkauft: Copyright Taz.de

Wichtig ist das Thema IT Service Management – ITSM, das es zu implementieren gilt. ITIL ist dabei ein sehr guter Startpunkt – aber bei weitem nicht der einzige. Es gibt auch weitere gute Rahmenwerke wie USMBOK, ISO20000 oder COBIT, welche den Ball schon lange aufgenommen haben.

 

Ob der Geist, sprich die Seele in ITIL gehalten werden kann, bleibt nur zu hoffen. Es wird kein Weltuntergang sein. Was denken Sie darüber?


 

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