Lernst Du noch – oder wirst Du schon weggespült?

Es ist, als würden wir versuchen, aus einem Feuerwehrschlauch zu trinken – einem, der wild durch die Gegend tanzt und aus dem Unmengen von Wasser spritzen. Ein absurdes Bild, das überraschend gut beschreibt, was gerade passiert. Die Geschwindigkeit, mit der neue Technologien – insbesondere die Künstliche Intelligenz – auf uns einströmen, ist kaum noch zu steuern. Wer nicht aufpasst, wird von der Flut mitgerissen, statt ein paar Tropfen Wissen zu erhaschen. Die Gefahr ist real: Wer heute nicht lernt, droht morgen überflüssig zu sein.

Denn KI verändert nicht nur Prozesse. Sie übernimmt Rollen, gestaltet Entscheidungen und stellt unser Arbeitsverständnis grundsätzlich infrage. Maschinen sollen künftig nicht nur unsere Arbeit erleichtern, sondern auch ethisch „richtig“ entscheiden – gemäß unseren Werten. Doch welche Werte eigentlich? Die des Algorithmus? Die des Entwicklers? Die des Unternehmens? Oder doch die unserer Gesellschaft – global, lokal, individuell? KI verlangt von uns nicht nur neues Wissen, sondern neues Denken. Und zwar kontinuierlich. Ohne Anleitung, ohne Pause, ohne Garantie.

Die Zahlen sind deutlich – und beunruhigend. Laut einer Analyse von JoinGenius könnten bis 2030 weltweit über 300 Millionen Arbeitsplätze durch Automatisierung und KI verändert oder ersetzt werden (Quelle). Besonders betroffen sind Aufgaben mit hohem Wiederholungs- oder Datenverarbeitungsanteil. Doch KI ersetzt nicht nur – sie schafft auch Neues. Laut einer Studie von Tietalent entstehen gleichzeitig neue Rollenprofile, etwa AI Prompt Engineers, KI-Trainer, Ethikberater für KI oder Human-Machine-Interaction Designer (Quelle).

Das World Economic Forum prognostiziert, dass 44 % der heute benötigten Kompetenzen in fünf Jahren nicht mehr ausreichen werden. Gleichzeitig erwarten Unternehmen Kreativität, Technologieverständnis, Anpassungsfähigkeit und Lernbereitschaft von ihren Mitarbeitenden. Die Herausforderung: Viele Organisationen verkennen noch immer den Ernst der Lage – oder unterschätzen die Geschwindigkeit der Veränderung.

Wer jetzt glaubt, das gehe nur HR oder die Weiterbildungsabteilungen etwas an, der irrt. In dieser Umbruchsphase braucht es vor allem eines: starke Kapitäne. Und hier kommt der CIO ins Spiel – nicht als Technikverwalter, sondern als strategischer Steuermann. Er steht auf der Brücke, wenn der Sturm tobt, hält Kurs, wenn andere schon seekrank über die Reling hängen. Ein guter Kapitän kennt die Route, weiß um die Untiefen – aber er bleibt, wenn es brenzlig wird. Er springt nicht von Bord, sondern geht im Zweifelsfall als letzter. Genau das ist jetzt gefordert: Führung, die Haltung zeigt.

Was muss nun konkret geschehen?

Lernen darf kein zufälliges Nebenprodukt mehr sein – es muss systematisch gefördert und aktiv eingefordert werden. Der CIO muss gemeinsam mit HR und der Geschäftsleitung ein Lernökosystem aufbauen, das auf die Zukunft vorbereitet. Dabei geht es nicht nur um das Erlernen neuer Tools, sondern um eine grundsätzliche KI-Kompetenz (AI Literacy): Verständnis, Reflexion, Anwendung.

Wie aktuelle Beiträge u. a. vom Netzwerk Q 4.0 oder Rocken zeigen, braucht es neue Formen der Aus- und Weiterbildung, die KI aktiv integrieren (Quelle 1, Quelle 2). Konkret bedeutet das:

  • Lebenslanges Lernen muss strukturell verankert werden – durch Lernzeiten, digitale Lernformate und individuelle Entwicklungspläne.
  • Hybride Kompetenzen werden zur Norm: Technisches Wissen allein reicht nicht – kritisches Denken, Anpassungsfähigkeit und Kommunikationsstärke sind ebenso wichtig.
  • KI-Literacy sollte frühzeitig aufgebaut werden – in der Ausbildung, in der Onboarding-Phase, in Leadership-Programmen. Tools alleine machen noch keine Mündigkeit.
  • Aktive Auseinandersetzung mit Technologie ist Pflicht – nicht delegierbar. Wer versteht, was KI leisten kann, kann sie auch sinnvoll einsetzen.

Die Universität St. Gallen (scil) hebt in ihrer aktuellen Orientierungshilfe für Bildungsexperten hervor, wie wichtig es ist, „eine lernförderliche Haltung“ zu entwickeln – nicht als Reaktion, sondern als Grundhaltung gegenüber einer dynamischen Welt (Quelle).

Der CIO spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Er ist nicht nur Technologieverantwortlicher – er ist Enabler. Er schafft Strukturen, fördert Denkweisen und baut Brücken zwischen Business und Lernen. Er erkennt, dass die Lernfähigkeit der Organisation zum wichtigsten Wettbewerbsfaktor wird. Und er weiss: Wer heute investiert, zahlt morgen nicht drauf. Denn der Feuerwehrschlauch bleibt offen. Die Informationsflut reisst nicht ab – sie nimmt zu. Die Frage ist: Bleiben wir standhaft – oder gehen wir unter?

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