Ich würde ja jeden verstehen, der sich bei diesem Titel fragt, was denn die wunderbare, aber auch etwas schräge Geschichte aus dem 17. Jahrhundert mit dem modernen IT Service Management zu tun haben könnte. Ich denke … mehr als auf den ersten Blick meinen…
Für all die Leser, die die Geschichte nicht mehr präsent haben, finden unter den Links (siehe Schluss) eine einfache Zusammenfassung. Ich beziehe mich ausschliesslich auf das bekanntere erste Buch von Miguel de Cervantes Saavedra.
Der gute Don Quijote hatte offenbar Zugang zu einem riesigen Fundus an skurrilen und nicht immer realen Rittergeschichten und hat diese Bücher geradezu verschlungen. Immer mehr wurde dadurch diese Ritter-Welt zur seiner eigenen vermeintlichen Wirklichkeit und somit zu seiner Realität. Er zog mehrfach aus und erlebte dabei viele Abenteuer. Für Aussenstehende war das Ganze allerdings ziemlich schräg, befremdlich und so wurde er aktiv und nachdrücklich bekämpft, was der arme Don schmerzlich erfahren musste (sein Kampf gegen Windmühlen).
Ich denke, diese ausserordentliche Geschichte kann als Metapher für unsere heutige Situation im IT Service Management Umfeld gesehen werden. Sollte das eine oder andere meiner Ausführungen zum Schmunzeln anregen, so ist dies durchaus gewollt. (Auch als Service-Arbeiter* kann eine Prise Humor Berge versetzen….). Ich fokussiere mich in meinen Interpretationen der Metaphern auf zwei Richtungen, die ich im kommenden Teil gerne erläutern möchte.
These 1: „Der von einer guten Idee getriebene und gegen alle Widrigkeiten kämpfende Ritter“
Hand auf’s Herz, ist das nicht für uns als „Service Arbeiter“ die ganz normale tägliche Herausforderung, die Idee des sinnvoll gemanagten Services mit den entsprechenden Prozessen den betroffenen Stakeholdern zu erklären? Dass das zum Kampf von unterschiedlichen Wahrnehmungen führen kann, dürfte für viele von uns nichts Neues sein. Ja ich würde sogar wagen zu behaupten, das ist schlicht Alltag.
Auf der einen Seite steht das Senior Management, welches insbesondere im KMU Bereich nach wie vor leidgeprüft aus vielen gescheiterten Prozessversuchen den Schluss zieht, dass die Service-/Prozess-Orientierung nicht wirklich nötig und viel zu aufwendig sei (unter dem Motto: „Niemand kann uns erläutern, was unter dem Strich raus schaut, also lassen wir es besser…. es ging ja bisher auch ohne“)
Auf der anderen Seite stehen die gegen Windmühlen kämpfenden „Service-Don Quijotes“, die ehrlich, differenziert und besonnen den Wert eines solchen Service- bzw. Prozess-Ansatzes versuchen zu adressieren. Solche besonnen Ritter des Service Managements verfolgen (im Gegensatz zur späteren These 2) einen strategisch und taktisch klugen und weit vorausblickenden Ansatz immer in der Absicht, das Management vom Benefit zu überzeugen („quick-wins“, „low-hanging-fruits“, „start-small-think-big“, etc.).
Ich bin heute mehr denn je überzeugt, dass mit verdaubaren, nachvollziehbaren und vor allem mit schrittweisem Vorgehen, dieser Konflikt signifikant entschärft werden kann. Denn es ist durchaus so, dass spürbarer UND messbarer Erfolg gesehen und honoriert wird, was zu Appetit auf mehr führt. Es soll nicht zum Kampf werden (wie bei Don Quijote), sondern ein Miteinander, wo schrittweise und nachhaltig vorgegangen wird.
These 2: „Der völlig verblendete, von zu viel Phantasie fehlgeleitete Ritter“
Ich habe das selber erfahren vor Jahren, als ich das erste Mal in Kontakt mit ITIL kam. Ich war fasziniert von den Ideen, von den guten Ansätzen und Werkzeugen, welche die akuten und latenten Probleme der damaligen IT-Organisation adressierten und dadurch viele Lösungsmöglichkeiten offerierten. Obwohl überall als „best practice“ (es war eben noch die V2) angepriesen, nahm ich das ganze als „die neue Realität“ an und war geradezu euphorisch. Ich zog aus und konnte nicht verstehen, dass meine Gegenübers sich oft kopfschüttelnd abwendeten, bzw. sogar aktiv das Vorgeschlagene oder von mir selbstständig Eingeleitete, bekämpften.
Hier sehe ich den Vergleich zu unserem naiven Don Quijote, er war so weltfremd, dass er keine Wahrnehmung hatte für die Realität. Er kämpfte gegen die vermeintlich Bösen, die im Ursprung gar nicht so waren (ich spreche mal nicht von den Windmühlen…;-)
Über die vielen Jahre im Service Management habe ich gelernt, dass wenn man als realitätsfremder, immer an der Grenze von Ignoranz funktionierender Service Management Verfechter (z.B. ITIL, ISO20000, etc.) auf die Leute zu geht, das Gegenüber zur negativen Reaktion zwingt. Service Management ist kein Selbstzweck (und war auch nie als das gedacht), sondern viel mehr als Hilfsmittel in unser IT-getriebenen Service-Gesellschaft deren Wertschöpfung zu steigern.
Wenn ich Bücher, Berichte, Beiträge oder Blogs lese von Fundamentalisten und Evangelisten so wird mir sehr schnell klar, zu welchem nachhaltigen Schaden das führen kann. Ich stelle mir vor, wenn ich Mitglied des Senior Management wäre und mir erklärt würde, dass es jetzt unumgänglich sei, ein Projekt mit zig Mann-Tagen zu lancieren um die 4Ps („People“, „Process“, „Products (technology)“ und „Partner“) neu auszurichten und man dabei sicherlich einen Haufen Geld sparen kann, dann verstehe ich die äusserst kritische Haltung. Am Ende solcher skurrilen Kompagnien wird dann leidlich versucht den Mehrwert für den Aufwand zu rechtfertigen. Ich erinnere daran, dass im KMU-Bereich eine interne Service Management Kampagne ein signifikantes Investment darstellen kann.
Besonnenheit, Miteinander und ein neuer Ansatz
Ich wünsche mir für unser Service Management Business mehr Besonnenheit (mit kluger Voraussicht und dem Auge für das Wesentliche). Ehrlich in einem Miteinander herausfinden, wo der Schuh drückt und dann mit Weitblick und verdaubaren Schritten für Organisation und Business an die Umsetzung gehen wird erfolgreicher sein, als Grabenkämpfe und Selbstverwirklichung.
Ein für das Service Management eher neuerer Ansatz (der als Erweiterung gesehen werden soll) bekommt immer mehr Anhänger. Getrieben von der Idee, dass es für Organisationen oft schwierig ist (insbesondere bei kleineren), eine Prozesslandschaft zu etablieren, die alle Eventualitäten abdeckt, soll das Case Management eine neue Herangehensweise bieten, um strukturiert bei fehlendem Prozess oder Prozessfragmenten die Service-Organisation und somit den Service-Konsument zu unterstützen.
Im Wesentlichen gibt es zwei Ansätze:
- Die Organisation hat noch keinen Prozess für das Issue, welches jetzt ansteht („buttom-up“)
- Die Organisation hat wohl einen eingeführten Prozess, der hilft hier aber nicht
weiter, da dieser nicht zum Issue passt.
Im Gesundheits- oder Sozialwesen kennt man diesen Ansatz schon seit mehreren Jahren und hat hier sehr gute Erfahrungen gemacht.
Eine gute Möglichkeit, diesen Ansatz kennen zu lernen und zu diskutieren ist der IT Manager Kongress (siehe link). Hier wird die SwissICT-Themengruppe „Service Management in der Praxis“, welche sich seit ca. einem Jahr mit diesem Thema beschäftigt, einen Workshop durchführen.
Linkliste:
Die Geschichte von Don Quijote
- http://www.klassiker-der-weltliteratur.de/don_quijote.htm
- https://www.uni-due.de/einladung/Vorlesungen/lektuere/donquijote.htm
Workshop am IT Manager Kongress „Case Management in der Informatik“:
Hallo Beda,
vielen Dank für den sehr guten Beitrag. Ich bin sehr froh, dass der Don Quijote in Dir noch immer die Sehnsucht hat und den Kampf für eine “bessere” IT Service Management Welt nicht aufgegeben hat.
Es ist in der Tat so: es braucht die felsenfeste Überzeugung, den Willen und dann auch den Tatendrang, Service Management als Konzept umsetzen und durchsetzen zu wollen. Wenn das Management oder der Sponsor dies nicht will oder die Notwendigkeit nicht klar auf der Hand liegt, dann rennt man gegen Windmühlen und jeglicher Versuch, gegen diese anzukämpfen leider reine Verschwendung von Geld, Energie und guten Leuten.
Nur wenn das Management wirklich muss, dann tut es auch etwas. So zum Beispiel wenn es um Compliance Fragestellungen geht. Wenn Verletzungen zu Entzug von Lizenzen führen können, dann darf es nicht genug kosten, das auf jeden Fall zu verhindern. Bürokratie hin oder her.
Zu guter Performance wird man leider nicht gezwungen. Kein Unternehmen ist wirklich gezwungen, Business Erfolge auszuweisen. Klar, man kann den Job verlieren, wenn die Ergebnisse nicht stimmen. So wird das Management nur tun, was von Oben gefordert wird. Das Risiko, Menschen verändern zu wollen und zu können, ist vielfach zu gross, weil man selber erkennt, dass die nötige Leadership in einem selber nicht gegeben ist. Denn diese würde es brauchen. So bleibt Kreativität und Investitionsbereitschaft in vielen Organisationen auf der Strecke.
Die Politik der kleinen Schritte ist daher sicherlich der beste Weg, zum Ziel. Der Don Quijote muss dann halt vom schnellen Ritter zum langatmigen Marathonläufer werden.
Lieber Gruss
–Martin
Ciao Martin,
dein Kommentar gefällt mir sehr…..
Obwohl, und das sollte eigentlich uns zu denken geben, gibt es genügend Beispiele in der Industrie wo entsprechende Initiativen im Bereich Governance und Service Management zu nachhaltigen Erfolgen geführt haben. Wäre das nicht der Fall, und da bin ich tief davon überzeugt, wäre all die schönen Frameworks schon längst verschwunden und wir würden alle darüber lachen. Offenbar ist halt doch was dran.
Man kann von diesen Frameworks und Methoden halten was man will, aber eine moderne IT wird nicht umher kommen, sich irgendwie aufzustellen und die anfallenden Themen angehen. Der smarte IT Manager erinnert sich, dass es da Hilfestellungen gibt, die ein Kondensat von Erfahrungen und Wissen darstellt, und er sich da entsprechend, weitsichtig, und Situations-adäquat bedienen kann. Kommen noch regulatorische Vorgaben dazu, empfiehlt sich dieses Vorgehen noch viel mehr.
Wenn ich einen beruflichen Wunsch offen hätte, dann würde ich sicherlich mir wünschen, dass auf beiden Seiten (IT und Business) noch mehr von solchen beseelten und besonnen Facilitators da wären …….. – bekanntlich darf man ja wünschen…..;-)
Lieber Gruss
Beda