2016 – das Jahr der Bi-modalen IT

Es ist bereits zum Ritual geworden: Während das alte Jahr am Ausklingen ist, wird für das neue Jahr von allen grossen Research-Unternehmen wie Gartner, Forrester oder IDC wieder tief in die Kristallkugel geschaut. Wir leben in einer pulsierenden Gesellschaft und die IT-Technologie treibt das Tempo. Stillstand ist Rückschritt und daher lieben wir es, immer wieder nach neuen Veränderungen Ausschau zu halten. Ob die alten Veränderungen aus dem Vorjahr überhaupt schon verdaut sind, interessiert uns an dieser Stelle weniger. Entweder waren sie für unser spezielles Umfeld nicht tauglich – oder aber bereits von neuen Methoden und Modellen wieder überholt. Wer erntet schon gerne die Früchte aus alten Veränderungsprojekten, während die digitale Transformation nach noch höheren Sphären trachtet?

Auch ich mache mir immer einen Sport daraus, die Entwicklungen in der IT ein wenig vorweg zu sehen. Mehr als Kaffeesatz-Lesen ist es indes nicht wirklich. Und es würde wohl keine Hellseherei bedeuten, wenn ich jetzt prophezeie, dass die Cloud-Adaption auch im neuen Jahr weiter zunehmen wird. Das Internet-der-Dinge wird sich so stark in die Produkte des Alltages einnisten, so dass die dahintersteckende Technologie mit den so angesammelten Daten eine nie dagewesene Personifizierung von Dienstleistungen, Produkten und Informationen ermöglicht. Wir werden diese Dinge ganz selbstverständlich konsumieren und uns immer weniger darum kümmern, wer wo welche Daten über uns gesammelt hat. Die Übersicht ist schlicht nicht mehr möglich, aufrecht zu erhalten. Ob uns das gefällt oder nicht.

Es wird wohl auch im 2016 wieder neue Tech-Firmen geben, welche frei nach dem Motto «Software eats the world» mit disruptiven Geschäftsmodellen alteingesessene Traditionsunternehmen in die Enge treiben. Auch daran werden wir uns gewöhnen. Und je mehr dies passiert, desto mehr werden in den Unternehmensleitungen die Frage aufgeworfen: was machen wir und wie können wir die digitale Transformation für uns gestalten? Shadow-IT wird zwar heute als etwas eher Unsicheres und nicht «kontrollierbar» schlecht geredet (auch ich in meinem Blog aus dem Jahr 2013: Bringt Licht in die Schatten-IT). Diese Business-Units wollen und müssen von den neuen Technologien profitieren. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass sich die Business-Einheiten direkt Software-Engineers holen, um die digitale Transformation voranzutreiben. Das alte Muster: «ich habe eine Idee, mache einen Projektantrag und warte ab, was da kommt» wird nicht mehr für die Zukunft funktionieren. Gerade Software-Entwickler werden ihren Status als IT-Nerds abstreifen und viel direkter in die Business-Einheiten und insbesondere auch in Business-Führungspositionen des Unternehmens vorstossen, weil sie die Innovation und damit das Überleben verkörpern. Auch daran werden wir uns gewöhnen.

Für die zentralen IT-Organisationen wird entscheidend sein, wie der CIO seine Rolle in diesem Umwälzungsprogramm versteht und wahrnimmt. Bleibt er der Hüter der traditionellen IT-Systeme und sicherheitskritische Mahner der schnelllebigen IT-Gadgets – oder nimmt er eine aktive Rolle in der digitalen Transformation ein und treibt die Veränderung im Unternehmen mitsamt seiner IT-Organisation? Je mehr er sich gegen die Veränderung stemmt, desto eher werden im Business Tatsachen und damit auch unkontrollierbare Shadow-ITs geschaffen. Je stärker er die Veränderung ermöglicht, desto mehr wird das Unternehmen zu einem IT-Unternehmen, in der die IT in jeder Business-Unit als wesentliche Geschäftsprozesskompetenz integriert wird.

Der Schalter lässt sich nicht so einfach und schnell kippen.

Neue Startups haben es da einfacher. Sie brauchen keine Rücksicht auf alte Errungenschaften und noch tief in den Büchern stehende Infrastrukturen und Softwareapplikationen über die nächsten Jahre abzuschreiben. Die meisten Traditionsunternehmen haben diese «Altlasten» und sind schon aus Kontinuitätsanforderungen heraus dazu verpflichtet, diese aufrecht zu erhalten. Und trotzdem steigt der Druck vom Markt, dem Business und insbesondere der sonst sich abwendenden Kunden, mit den neuen Technologien und innovativen Service-Angeboten mithalten zu können. Ich bin überzeugt davon, dass gerade im kommenden Jahr sich eine Schere in den IT-Organisationen auftut: die Bi-modale IT. Dieses Modell ist von Gartner bereits ein paar Jahre alt und beschreibt die IT-Organisation mit zwei unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Einerseits die auf Tradition und Stabilität verpflichteten IT-Lösungen und andererseits die auf Geschwindigkeit und Innovation ausgerichteten digitalen Transformations-Projekte.

Der CIO ist die "Marry Poppins" der Zukunfft
Der CIO ist die “Marry Poppins” der Zukunfft

Ähnlich wie beim Cloud-Betriebsmodell, welches auch in diesem Jahr vor allem auf einer hybriden Struktur aufgesetzt werden muss, wird die IT-Organisation lernen müssen mit den zwei verschiedenen Welten leben zu müssen. Aus dieser Herausforderung muss der CIO eine Tugend machen können. Diese zwei Welten müssen eine sinnvolle Symbiose bilden und nicht die Organisation spalten. Dazu muss der CIO in der Lage sein, den Mehrwert für das Unternehmen noch besser zu demonstrieren, auf die verschiedenen Bedürfnisse mit einem Gespür für Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit rasch zu reagieren und trotz neuer versus alter Technologie das Vertrauen in den Schutz der Daten des Unternehmens und der Kunden gewährleisten.

IT- und Enterprise-Service Management wird trotz todgesagtem ITIL-Framework eine zentrale Führungsdisziplin zur Steuerung der IT-Services bilden. Die IT kann nicht mehr alles selber machen – viel mehr wird ihr eine Service-Integrations-Rolle zu kommen – zwischen neuer Technologie und traditionellen Applikations-Landschaften, zwischen interner IT und externen Service-Anbietern und zwischen Business-getriebenen IT-Lösungen und zentralen Transaktions- und Buchungssystemen. Die IT-Organisation muss als Berater für das Business funktionieren und als Broker von Service-Angeboten optimale Lösungen für das Business ermöglichen. Dabei ist ITSM nach wie vor das am geeignetste Modell der Zukunft – mit vielleicht ein paar Learnings aus der Vergangenheit:

  • IT definiert selbstsprechende Prinzipien anstelle formeller und stringent verfolgter Prozesse
  • IT legt den Fokus auf Business-Relationship anstelle auf nicht verstandene SLAs
  • IT macht nicht alles selbst – die IT-Organisation wird zum Broker von IT-Lösungen
  • IT unterstützt die Mitarbeiter in ihren Geschäftsprozessen und nicht primär die IT-Technologie
  • IT stellt mit einer guten Governance-Struktur die Business-Ziele in all ihren Aktivitäten sicher
  • IT stellt die Sicherheit und Kontrolle der Daten über die gesamte Supply-Chain sicher

Standardisierung und Automation wird dazu beitragen, dass kostspielige Administration und Störungsbehebung reduziert werden. Die Kräfte werden dadurch frei für neue Aufgaben, wie Lieferanten-Management, Vertragsmanagement, Relationship Management oder auch kommerzielles Finanz-Management innerhalb der IT.

Die Bi-modale IT wird mit zwei unterschiedlichen Geschwindigkeiten die Bedürfnisse und Kontinuität des Unternehmens gewährleisten. Die Herausforderung des CIOs wird darin bestehen, diese beiden Welten zusammenzuhalten und die Transformation nicht nur für das Business, sondern erst recht für die IT-Organisation zu gestalten. Dabei werden die Konzepte «Service Integration and Management, SIAM» sowie «DevOps» zentrale Leitmodelle darstellen. Letztlich ITIL in Reinkultur, wie das Framework leider nie verstanden wurde. Ich bin daher auch überzeugt, dass ITIL im 2016 wieder an Bedeutung gewinnen wird – insbesondere deshalb, weil mit dem neu geschaffenen Ausbildungsschema «ITIL Practitioner» der Fokus auf «Adapt and Adopt» gelegt wurde – also das WIE, und nicht bloss dem WAS. Dieser neue Ausbildungslehrgang ist ab März bei der Glenfis verfügbar.

Ich wünsche Euch allen einen guten Start im Neuen Jahr und vor allem viel Gesundheit und Erfolg. Ich freue mich auf spannende Diskussionen mit Euch. Und lasse mich natürlich auch wieder durch die Geschehnisse in diesem Jahr eines Besseren belehren.


 

2 Kommentare zu «2016 – das Jahr der Bi-modalen IT»

  1. Hallo Martin,
    hast Du in Deiner Glaskugel neben dem CIO auch die IT-Mitarbeiter im Visier? An vielen Stellen deines Beitrags müssen wir wohl alle zustimmen. Was ich aber immer mehr erlebe ist, dass der CIO in seiner Rolle zwischen die Fronten gerät und wenig Handlungsspielraum hat. Wie soll er “den Fokus auf Business-Relationship anstelle auf nicht verstandene SLAs” legen, wenn seine Mitarbeiter nach jahrelangem Kampf endlich in der Rolle eines Service Managers angekommen sind? Wenn diese IT-Verwaltungsmitarbeiter immer noch in der IT gefangen sind und das Business nicht verstehen?

    Ähnliche Schwierigkeiten sehe ich beim Thema “IT macht nicht alles selbst – die IT-Organisation wird zum Broker von IT-Lösungen”. Wie soll ein CIO seine Systemadminstratoren dahin bekommen, jetzt “nur noch” Dienstleister zu steuern, die die jahrelange Arbeit dieses Administratoren jetzt günstiger (und schneller und besser und verlässlicher) machen?

    “IT definiert selbstsprechende Prinzipien anstelle formeller und stringent verfolgter Prozesse” ist sicherlich ein wichtiges Ziel, widerspricht aber den mühsam eingetrichterten “Vorgaben der ITIL-Prozesse”. Der ein oder andere wird zudem einen Widerspruch zu “IT stellt mit einer guten Governance-Struktur die Business-Ziele in all ihren Aktivitäten sicher”. Denn eines dürfen wir nicht außer Acht lassen: Die IT-Mitarbeiter sind in einer ziemlichen Komfortzone. Wenn man sie zu hart anpackt, suchen sie sich neue Arbeitgeber. Und in bestehenden Prozessen läßt es sich einfach leben. Man kann immer auf “den Prozess”, die “ungenauen (wahlweise auch zu detaillierten) Vorgaben” oder den Kollegen im anderen Silo schimpfen.

    Wir haben also aus meiner Sicht auch viel Arbeit mit den Menschen vor uns. Da können alle technischen Errungenschaften bzw. Fortschritte noch so schön und einleuchtend sein: Die IT-Mitarbeiter werden bremsen, bewußt oder unbewußt. Und der CIO hat wenig Macht bzw. Einflußmöglichkeiten, oder?

    1. Hallo Dierk,

      danke für Dein Feedback und Deine Anregungen. Die IT-Mitarbeiter habe ich nicht absichtlich vergessen, aber es liegt aus meiner Sicht in erster Linie am CIO, welcher als Kapitän und Navigator durch diese stürmische See führt. Wenn er die Notwendigkeit auf seiner Stufe nicht erkennt und versteht, dann nützen alle Anstrengungen nicht wirklich viel.
      Und ja – es ist eine Herkulesaufgabe, welche auf die IT-Organisationen zukommt. Konfortzonen wird es keine mehr geben (dürfen). Gerade dazu braucht es auch Leadership, der die Leute durch diese Transformation führt.
      Ich glaube auch, dass damit ein “Re-Engineering” von IT Service Management stattfinden kann und muss. Eben weg von der starren Prozesswelt hinzu agilen Strukturen. Auch hierzu braucht es Governance-Strukturen – es soll ja nicht wieder zurück zur Jekami-Mentalität gefunden werden.

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