Eine Roadmap zu ITIL Lite

Auch die neueste Ausgabe der ITIL® Kernbücher Edition 2011 macht es nicht einfacher: die Umsetzung aller Management Disziplinen ist eine Herkulesaufgabe – schier ein Ding der Unmöglichkeit. Trotz meiner über 10 Jahre alten Service Management Beratertätigkeit ist mir noch kein Unternehmen begegnet oder auch nur zu Ohren gekommen, welche es nur annährend geschafft hat, alle Management Disziplinen gemäss dem Praxisleitfaden umzusetzen.

ITIL Edition 2011
ITIL Edition 2011

Gut – ITIL® ist ja bloss ein Leitfaden welcher viele nützliche Tipps enthält, um eine professionelle IT Organisation einrichten zu können – reine Empfehlung ohne Garantie auf Erfolg also. Dafür umso mehr mit der Aussicht auf einen potentiellen Mehrwert. Lapidar heisst es dann auch einfach: adapt and adopt, übernehme was Du brauchen kannst und passe es an Deine Organisation an. Nur, damit kann sich ein CIO nicht zufrieden geben, wenn er eine zuverlässliche IT Infrastruktur zur Verfügung stellt. Vielmehr muss er ein ganzheitliches, kontrolliertes Service Management System einrichten, welches alle notwendigen Management Disziplinen enthält, damit sein Business nicht demnächst in einer der Schlagzeilen steht, welche praktisch im Wochenrhythmus heute in den Zeitungen zu lesen sind:

  1. IT-Panne nach Umstellung sorgt für Kundenverärgerung

    US Airways Outage
    US Airways Outage
  2. IT-Panne bei der Lufthansa sorgt für Chaos
  3. Informatik-Panne: Chaos in Schweizer Poststellen
  4. E-Banking: Totalausfall bei Raiffeisen
  5. London Stock Exchange Suffers 4 Hour Outage
  6. Amazon cloud outage staggers into Day 2

Wenn man dann die Begründungen der Ursachen solcher Pannen liest, dann sträuben sich mir nicht nur die Nackenhaare: Probleme bei Routine-Umstellung; das hat bis jetzt immer problemlos funktioniert; ein komplexes Zusammenspiel zwischen Datenbank, Netzwerk und Betriebssystem und so weiter, und so fort. Routine führt wohl oft zu weniger Kontrolle und zu Nachlässigkeit in der Qualität.

Nun, wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Wo gehobelt wird, fallen in aller Regel auch Späne – und Fehler können schliesslich allen passieren. Ich hatte letztlich einen Kunden eines Grossunternehmens welcher mir in allem Ernst erzählt hat, dass seine IT Organisation vor allem in der Krise grossen Zusammenhalt und effektives Arbeiten bewiesen haben, worauf er sichtlich stolz gewesen ist. Hier tut Umdenken Not.

Glenfis Deutsches Kartenset ABC of ICT
Glenfis Deutsches Kartenset ABC of ICT

Professionalität in der IT heisst nicht beweisen zu müssen, dass man eine hohe Last an Störungen zu lösen vermag. Vielmehr heisst Qualität hier, ungewollte Überraschungen vermeiden und Kosten reduzieren zu können. Der Fluggast will keinen 99,5% sicheren Flug – er will sich zu 100% sicher fühlen. Und diese Geisteshaltung muss bei der IT einkehren, alles für das Business geben zu müssen, damit die Anwender sich auf die Infrastruktur verlassen können.

ITIL® und COBIT® sind heute wohl die zwei hervorragendsten und wertvollsten Quellen für die Implementierung einer ganzheitlichen IT Governance und eines Service Management Systems. ITIL® und COBIT® sind jedoch kein Prozessmodell. Das haben viele Leute – nicht zuletzt auch Berater – bis heute nicht wirklich verstanden. Die Best Practice Empfehlungen bestehen primär aus Management Disziplinen, welche ihrerseits Prozesse beinhalten können. Wie diese Prozesse konkret auszusehen haben, wird nicht im Detail beschrieben.

Oft beinhalten die empfohlenen Prozesse unterschiedlichste Aktivitäten wie beispielsweise Planung und Betrieb. Wenn man sich den Capacity Management Prozess ansieht, dann wird dieser nie als ein alleinstehender Prozess funktionieren können. Die Planung der Ressourcen aus der IT Strategie und der Service Entwicklung wird nie im gleichen Prozess abgewickelt werden können, wie die Performance Überwachung und Kapazitäts-Entwicklung auf den einzelnen Systemen.

Die Frage steht immer noch im Raum: Wie kann ich nun sinnvollerweise ein auf mein Unternehmen und meine Organisation angemessenes Service Management System erstellen? Welche Management Disziplinen sind nun wichtig und auf welche kann man vorerst verzichten? Es gibt unterschiedliche Gründe, weshalb eine vollständige Implementation von ITIL® keinen Sinn macht:

  1. Kosten: wenn jeder Prozess im Durchschnitt 3 Monate Umsetzungszeit benötigen, dann wird das Projekt zwischen 6 und 7 Jahre dauern und ein Vielfaches an Projektkosten verursachen. Von solch einem Budget wird man wohl nur träumen dürfen
  2. Kein Kunden Support: Service Management ist aus Sicht des Business eine Art „Versicherung“, dass die Services in einer bestimmten Qualität zuverlässig geliefert werden. Die Prämie dieser Versicherung hat Grenzen und beschränkt die Bereitschaft des Business, eine vollständige Umsetzung unterstützen zu wollen
  3. ISO/IEC 20000 Limitationen: Der Standard für Service Management empfiehlt sich als vollständig genug, eine professionelle Management Struktur abzudecken. Der Umfang der Management Disziplinen von ISO 20000 ist viel kleiner als ITIL Edition 2011. Wieso also mehr tun?
  4. Verantwortlichkeiten: Jede Management Disziplin verlangt nach einer personifizierten Verantwortlichkeit. Gerade in kleineren und mittleren Organisationen lässt sich diese Menge an Verantwortlichkeiten nicht mit genügend geeigneten Personen abdecken
  5. Mangelnder Durchhaltewillen: Die Service Management Initiativen erleben gerade beim Start oft eine Aufbruchsstimmung – mit der Zeit flacht diese aber rasch wieder ab und es fehlt oft an genügendem Management Support, weitere Verbesserungsinitiativen anzustossen. Was wichtig ist, ist nicht immer auch Dringend
  6. Zu komplex: Die Fülle an Management Disziplinen und Prozesse überfordert viele Organisationen, den Überblick und Durchblick zu behalten. Die Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Disziplinen sind dermassen gross, sodass eine friktions- und konfliktfreie Zusammenarbeitet nicht umsetzbar ist
  7. ITIL V2 wurde bereits implementiert: Viele Organisationen haben bereits mehr oder weniger erfolgreich die 10 Management Disziplinen von der ITLI® Vorgängerversion umgesetzt, was zu diesem Zeitpunkt als vollständig betrachtet wurde. Nun kommt eine neue Version und bedingt nochmals weitere Implementierungen respektive Kosten. Das Business fragt sich zu Recht, wann das endet – was mit ITIL V4, V5 etc. alles noch hinzukommt um dann jeweils als vollständig zu gelten. Was ist der Zusatznutzen?

Gibt es einen sinnvollen Ansatz, den Umfang meines Service Management Systems zu definieren? Was sind die Schlüsselkomponenten, welche ich unbedingt brauche? Und auf welche Komponenten kann ich – allenfalls im ersten Schritt – verzichten, um meine Sorgfaltspflicht als verantwortungsbewusster CIO zu erfüllen?

Methode und Framework
Was den beiden wirklich guten Best Practice Werken ITIL® und COBIT® fehlt, ist ein praktikabler Leitfaden, wie und in welchen Schritten nun das Service Management System sinnvoll implementiert werden soll. Es gibt zwar eine Beschreibung, nach welcher anhand des kontinuierlichen Verbesserungsansatzes das Management System umgesetzt werden kann. Aber welche Management Disziplinen und Prozesse nun zuerst angepackt werden sollten, auf welche allenfalls verzichtet werden können – da schweigt man sich aus.

Malcolm Fry, einer der bekanntesten Akteure und Autor im internationalen Service Management Umfeld hat dies schon sehr früh bemängelt. In seinem Buch ITIL Lite hat er nun einen Weg aufgezeigt, wie systematisch und methodisch der Umfang des Service Management Systems definiert werden kann.

ITIL lite
ITIL lite

In seinem Buch zeigt Malcolm einen pragmatischen und erfolgsversprechenden Weg in 10 Schritten auf, wie jede Organisation – ob klein oder gross – das optimale Service Management System einrichten kann. Gerade für kleinere und mittlere Organisationen ist dies eine enorme Hilfe, den Umfang auf ein sinnvolles und machbares Mass zu reduzieren. Aber auch für grosse Organisationen ist es eine Art Starthilfe, um die Umsetzung in Etappen steuerbar sicherzustellen.

Während ITIL® und COBIT® als Framework eine Fülle an Praxis-Empfehlungen anbietet, ist es trotz der Einschränkungen des Umsetzungsumfangs noch einen weiter Schritt bis zum professionell gemanagten Service Management System. Dies wird oft zu stark unterschätzt. Um wirklich gut und professionell zu gelten und als Top-Serviceprovider anerkannt zu werden, braucht es einen methodischen Ansatz, welcher stringent und mit absolut höchster Disziplin angewendet werden muss. Im Gegensatz zum Framework darf bei der Methode keine Abweichung akzeptiert werden. Das Handwerk wird einem nicht in den Schoss fallen, es muss von der Picke auf gelernt sein. Eric Clapton als virtuoser Gitarrenspieler übt jeden Tag über mehrere Stunden seine Grundriffs ein, damit die grandiose Musik bei den Höreren auch entsprechend ankommt. Dieses disziplinierte Erarbeiten der Management Disziplinen und Prozesse wird oft sträflichst vernachlässigt. Ein Schlüsselelement ist dabei das Kommunikationskonzept.

Prozess Design @ Malcolm Fry
Prozess Design @ Malcolm Fry

Der erste Schritt ist Festlegen des Prozess Designs: Die Definition eines gemeinsamen Verständnisses, wie Prozesse entwickelt werden sollen. Alle Prozesse sollen ein gleiches Look-and-Feel aufweisen. Dies erleichtert die Schulung, das Monitoring, die Anerkennung im Team und die Steuerung.
Es geht in erster Linie nicht darum, möglichst komplexe und unübersichtliche Prozessablaufdiagramme zu zeichnen. Diese liest und versteht eh keiner – sicher nicht die, welche dann damit arbeiten sollen. Wichtig ist eher, dass die Aktivitäten in einer Übersicht dargestellt werden, in dem die Übertragung mit Input/Output sowie die vorgesehenen Medien erkannt sind. Sämtliche Aktivitäten sollen mit klaren Arbeitsanweisungen versehen werden, welche dem Mitarbeiter auch aufzeigt, wie er diese Aktivität – zum Beispiel Eskalation im Incident Management – durchzuführen hat.

Für jede Aktivität müssen folgende 5 Schlüssel Prozessfragen gestellt werden:

  1. Was kommt als nächste Aktivität?
  2. Löst diese Aktivität einen anderen Prozess aus (Linkage)?
  3. Wie gelangen wir von der aktuellen Aktivität zu dieser neuen Aktivität (Transmission)?
  4. Wie wird diese Aktivität konkret ausgeführt (Working Instructions)?
  5. Wie wissen wir, dass wir diese neue Aktivität gut ausgeführt und die Qualitätsziele erreicht haben (Quality & Control)?

Von Bedeutung ist auch, dass bei den Arbeitsanweisungen die Qualitäts- und Kontroll-merkmale definiert sind, um den Prozess steuern und überwachen zu können.

Prozess Design @ Malcolm Fry
Prozess Design @ Malcolm Fry

Ein weiterer wichtiger Schritt ist auch die Kategorisierung der Management Komponenten. Malcolm unterscheidet folgende 4 Kategorien:

a)      Action Komponenten:  Komponenten, welche ein aktives, operatives Tun im Tagesgeschäft voraussetzen. So zum Beispiel Incident Management, Problem Management, Monitoring, Operations

b)      Beeinflussende Komponenten: Diese Komponenten beeinflussen und verändern die Art und Weise, wie die Action Komponenten ausgeführt werden. So zum Beispiel das Service Catalogue Management.

c)      Ressourcen Komponenten: Diese Komponenten stellen sicher, dass die anderen Komponenten genügend Ressourcen haben, um deren Aufgabe zu übernehmen – so zum Beispiel Capacity und Availability Management.

d)      Unterstützende Komponenten: Komponenten, welche die anderen in der Erreichung der Qualitätsziele unterstützen. Zum Beispiel Financial Management

Diese Kategorisierung ist wichtig, um ein vollständiges Verständnis über die Rolle jeder einzelnen Komponente für die eigene Organisation zu erhalten. Damit wird auch eine gemeinsame Sichtweise auf diese Disziplin innerhalb der Organisation geschaffen – und letztlich ein gemeinsames und besseres Bild von ITIL erarbeitet.

Malcolm @ Glenfis
Malcolm @ Glenfis

In weiteren Schritten werden die Management Komponenten aussortiert, welche als zentral, weniger wichtig oder gar für die eigene Organisation zurzeit überflüssig betrachtet wird. Malcolm schlägt in seinem Buch verschiedene sinnvolle Kombinationen – je nach Ausrichtung und Ziele – vor, welche einen bestimmten Satz von Komponenten beinhaltet, die gemeinsam in einer Umsetzungsinitiative realisiert werden sollten. Die Priorisierung des Vorgehens sowie die Festlegung der gewünschten Maturität je Komponente geben weiteren wichtige Anhaltspunkte, was nun genau realisiert werden muss.

Mit ITIL Lite hat die ITSM Gemeinde einen weiteren wertvollen um nicht zu sagen unverzichtbaren Leitfaden zur sinnvollen Umsetzung von Service Management Systemen erhalten. Die Glenfis AG hat diesen Ansatz für die Planung einer ITSM Roadmap übernommen.

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