Beim IT Service Management dreht sich alles um das Erbringen von Services – um kundenfokussierte Erbringung von IT Dienstleistungen und um Optimierung der Kosten und Risiken. Soweit ist man sich einig und so viel wird den meisten ITIL® Trainings Absolventen hoffentlich in Erinnerung bleiben.
Interessanterweise geht diese Sicht aber in vielen Umsetzungsprojekten verloren. Die Konzentration gilt sehr schnell nur noch den einzelnen Prozessen und deren Design. Man erkennt es schon daran, dass die Lebensphasen des Services (Strategie, Design, Transition, Operation und CSI) als Prozess-Domänen herangezogen werden, um eine Struktur in die Prozesslandkarte zu erhalten. Vermeintlich wird damit die Verlinkung zum Service abschliessend definiert. Die Frage, wie nun die Prozesse genutzt werden, um die Services zu erbringen und zu managen wird nicht ernsthaft gestellt und noch weniger beantwortet.
Die Konsequenz solcher Projekte ist frappant: Hierarchische Silos werden zwar teilweise abgebaut – dafür neue Prozess-Silos eingerichtet. Die Führung der Prozesse wird einem einzelnen Prozess-Verantwortlichen überlassen. Wie er seinen Prozess in den Griff bekommt, wird ihm grundsätzlich selbst überlassen. Die Hebelwirkungen zwischen den Prozessen und letztlich auf den Service ist man sich in aller Regel nicht bewusst. Das IT Management ist oftmals erstaunt über die vielen neu zu besetzenden Rollen und nimmt achselzuckend zur Kenntnis, dass ITIL nun mal mehr Aufwand und damit mehr Kosten verursacht. Qualität hat halt seinen Preis. Die Wirkung solcher Implementationen ist schnell verpufft – und lähmende Bürokratie macht sich breit bei der mühsamen Aufrechterhaltung solcher ungenutzter Prozessbeschreibungen. Das war’s!
Was läuft hier falsch? So fast alles, muss man leider sagen. Es wird viel zu oft verkannt, was Service Management wirklich ist und was es braucht: Führung und die Durchsetzung einer Service-Sichtweise (im Gegensatz einer reinen Prozess-Sichtweise). Beim Aufbau eines Service Management Systems (SMS) wird ein IT Führungssystem eingerichtet, welches der verantwortlichen IT Leitung die Kontrollen zur Verfügung stellt, die Services zum Wohle des Kunden, ausgerichtet an seinen Bedürfnissen zu steuern und sicherzustellen. Das IT Management muss erkennen, dass mit dem Einrichten eines Service Management Systems SMS sein bisheriges Führungssystem abgelöst und durch ein komplett Neues ersetzt wird
CSE – das Controlled Service Environment für gemanagte Services
Ein Kapitän, welcher ein neues Schiff mit modernsten Apparaten zur Steuerung erhält, muss das Cockpit mit all seinen Richtlinien, Prozessen und Kontrollinstrumenten kennen und beherrschen lernen bevor er das Schiff in die raue See hinausführt. Die Crew, die Verantwortlichkeiten, die Abläufe und die Arbeitsinstrumente sind so aufeinander abzustimmen, dass eine sichere Fahrt garantiert werden kann. Aber auch der Service, welcher letztlich durch diese Mannschaft erbracht wird, muss auf die neue Umgebung ausgerichtet werden, damit die Qualität gemessen und gesteuert werden kann. Der Service muss so „verkabelt“ werden, damit das Führungssystem rechtzeitig reagieren kann, wenn Toleranzgrenzen über- oder unterschritten werden.
Wie bei der Einführung eines neuen Releases braucht es eine kontrollierte Migration vom alten Führungssystem in das neue Service Management System. Wir bei Glenfis nennen dieses neue Service Management System das „Controlled Service Environment“, das CSE. Innerhalb dieses CSEs werden die Services nach den neuen Grundsätzen gemanagt. Ausserhalb des CSEs sind die Services schlecht oder gar nicht gemanagt, respektive noch nicht einmal ausreichent definiert.
Was sind die Bausteine eines Controlled Service Environment?
Das Fundament eines jeden Führungssystems ist die Governance. Die Governance kann als Summe aller Richtlinien, Grundsätze, Organisationsstrukturen und Prozesse verstanden werden. Im Prinzip werden mit der Governance die Leitplanken gesetzt, innerhalb derer die Strategie des Unternehmens umgesetzt werden muss.
Als CIO muss ich dabei vier wesentliche Orientierungspunkte stets im Auge behalten:
- Value – Was ist Mehrwert für das Business durch Nutzung meiner Services?
- Outcome – Wie werden die Ergebnisse des Business durch meine Services erbracht?
- Cost – Wie kann ich die Ressourcen optimal einsetzen und die Kosten im Griff behalten?
- Risk – Kenne ich die Risiken und deren Auswirkung auf das Business – und wie sichere ich diese ab?
Um bei der Analogie des Schiffes zu bleiben, muss der Kapitän verstehen, wohin die Reise seiner Kunden geht und auf was es beim Transport ankommt. Er kann erwarten, dass der Kunde den Preis bezahlt – aber er muss seine Kosten soweit in den Griff behalten können. Und er muss die Untiefen des Sees und die Gefahren kennen, die es zu überwinden gilt.
In das CSE übersetzt heisst Governance nun das Erstellen einer Vision und Mission als Leuchtfeuer für die Mannschaft mit der klaren Botschaft zur Kunden- und Serviceorientierung und dem steten Willen zur kontinuierlichen Verbesserung. Zudem braucht es nun verbindliche Direktiven (Policies), ein Zielsystems (Balanced Scorecard), einen Service Management Plan zur Umsetzung sowie klare Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten (Roles & Responsibilities).
Erst wenn diese Grundvoraussetzungen geschaffen sind, kann mit dem zweiten Element sinnvoll gestartet werden: dem Target Operation Model, TOM – das Betriebskonzept des CSEs. Die vorgängig erarbeiteten Governance-Grundlagen sichern die Legitimität und die Verbindlichkeit des Managements zum Aufbau des TOM.
ITIL® ist ein guter Leidfaden zum Ausbau eines solchen TOMs, zeigt es doch etablierte Best Practice Ansätze, welche zu berücksichtigen sind, um eine professionelle Service Management Umgebung einzurichten. Vor all dieser Fülle an guten Themen und Prozesse sollen sich die Verantwortlichen nicht in den Details verlieren, sondern sich bei allem Tun von folgenden Ansätzen leiten lassen:
- pragmatisch
- relevant
- verlässlich
Service Management Systeme werden nicht für die Ewigkeit gebaut, sondern sollen flexibel an die sich ändernden Anforderungen der Kunden ausrichten können. Und das Business wird sich verändern! Mit der in der Organisation institutionalisierten Verpflichtung zur kontinuierlichen Verbesserung muss diesem Anpassungsbedarf Rechnung getragen werden und stets die optimale Ausrichtung der Prozesse gesucht werden.
Die 5 P’s des Target Operation Models:
ITIL® betont immer die 4 Ps des Service Designs. Aus unserer Sicht fehlt ein fünftes für den Aufbau des TOMs:
- Prozesse, dazu gehören Ziele, Direktiven, Handlungsanweisungen, Verfahren, Rollen & Zuständigkeiten sowie die Abhängigkeiten, Schnittstellen und Prioritäten zwischen den Prozessen
- People, das sind die Mitarbeiter und Führungskräfte, welche auf die neue Betriebsart geschult und trainiert werden müssen. Dazu gehören aber auch die Besetzung der Rollen und Gremien, welche für die eigentliche Service Management Aufgaben vorgesehen sind, Job-Beschreibungen und Organisationsstrukturen (Funktionen) sowie ein Trainings und Development-Framework, Workload- und Ressourcen Analyse und –Projektion.
- Products, die Werkzeuge und Tools welche zur Planung und Organisation, zur Beschaffung und Entwicklung, zur Auslieferung und zum Support sowie zur Überwachung und Optimierung notwendig sind.
- Partner, die Teile der Service-Leistung erbringen und gewährleisten müssen
- Performance, die Leistungsparameter, welche zur Steuerung und Überwachung der Service-Erbringung herangezogen werden müssen, um die versprochene Qualität gewährleisten zu können.
Das IT Management muss sich bewusst sein, dass die Abläufe nicht isoliert, sondern analog eines Instrumental-Orchesters fein aufeinander abgestimmt werden muss. Jeder an seinem Platz muss wissen, wann er zum Einsatz kommt und was von ihm erwartet wird. Das braucht Übung und Vertrauen in die Organisation. ITIL® betont nicht zu Unrecht, dass die Fähigkeiten (Capabilities) einer Organisation zur Erbringung von qualitativ hochstehenden Services als strategische Assets zu sehen sind. Das Management muss also sein Augenmerk vollständig auf die Entwicklung dieser Fähigkeiten lenken.
Wie führt man ein Controlled Service Environment ein?
Wenn nun ein solches Controlled Service Environment (CSE) mit der zugrundeliegenden Governance und dem fein abgestimmten Target Operation Model (TOM) eingerichtet ist, kann nicht einfach ein Schalter gekippt werden und alles läuft nach Plan. Darin liegt der grösste Irrtum bei Service Management Implementation.
Es kann nicht erwartet werden, dass alle Leistungen (Services) der Organisation gleichzeitig in das CSE übernommen werden können. Vielmehr muss eine Migration, eine eigentliche Transition geplant und durchgeführt werden.
Im Prinzip herrschen nun in der Organisation zwei Führungssysteme vor: das neue CSE sowie die bis anhin vorherrschende Führungsstruktur, in welcher IT Leistungen nicht im Sinne von Service Management gesteuert wurden. Ähnlich wie bei der Einführung eines kritischen Releases wird sinnigerweise kein Big-Bang Ansatz gewählt, sondern ein phasenweises, kontrolliertes Vorgehen.
Um eine Dienstleistung in das CSE übernehmen zu können, muss diese Leistung als Service end-to-end definiert und mit dem TOM „verkabelt“ werden. Die Parameter des Services müssen mit den Kunden abgestimmt und mit den 5 Ps des TOM verzahnt werden. Die Übernahme eines neuen Services in das CSE ist ein Change, welcher sehr vorsichtig gesteuert werden muss. Das CSE braucht eine Art „Firewall“, um Services steuerbar übernehmen und die die notwendigen Voraussetzungen schaffen zu können.
Das heisst, dass alle neuen und auch später geänderten Services (einschliesslich die Beendigung eines Services) im Rahmen eines formellen Change Managements (CSE-Firewall) geplant und implementiert werden müssen. Diese Pläne müssen folgendes berücksichtigen:
- Service Definition und Vereinbarungen abgestimmt in Verträgen (SLAs, OLAs und UCs)
- Rollen und Verantwortlichkeiten für die Implementierung, Ausführung und Bewertung des Services
- Notwendige Änderungen am bestehenden Service Management System und der bereits gemanagten Services aufgrund der Übernahme eines neuen oder geänderten Services
- Anforderungen an die Fähigkeiten der beteiligten Personen und die Weiterbildungsmassnahmen
- Anweisungen an die Mitarbeiter hinsichtlich der zu befolgenden Prioritäten
- Notwendige Anpassungen an Prozesse und Werkzeuge, um den neuen oder geänderten Service umsetzen zu können
- Budget- und Zeitvorgaben
- Relevante Kriterien für die Service-Abnahme
- Die erwarteten Ergebnisse bei der Ausführung des neuen Services dargestellt in messbaren Kerngrössen
Services müssen steuer- und kontrollierbar gemacht werden, damit diese in das CSE übernommen werden können. Gleichzeitig müssen bei jeder Übernahme eines neuen Services die notwendigen Fähigkeiten des CSEs überprüft und bei Bedarf angepasst werden können.
Das Beraterhaus Glenfis hat hier ein standardisiertes “CSE Migration-Konzept” entwickelt, das den Übergang zum neunen Management System klare regelt und friktionsfrei sicherstellt. Mit der Migration der Services in das CSE wird Schritt für Schritt das alte Führungssystem abgelöst. Erst wenn diese Zusammenhänge verstanden und die notwendigen Voraussetzungen dazu geschaffen werden, kann von einem wirkungsvollen Management System gesprochen werden.
Weiter Vorteile des CSE Migration-Konzepts sind ein „Proof of Concept“ – eine Art Pilot-Umgebung mit Validierungs-Charakter. Insbesondere soll mit diesem Ansatz gewährleistet werden, dass die lernende Organisation genügend Zeit und Unterstützung erhält, sich zu verbessern. Zudem ist der „fliegende“ Wechsel eines Management Systems zwangsweise mit Risiken behaftet, was mit dem CSE Migrationskonzept abgefedert werden kann. Letztlich soll sichergestellt werden, dass alle Rollen verstanden und wahrgenommen werden und dass die Gewaltentrennung durchgesetzt und die übergeordneten Governance Elemente wie Risk & Compliance (SOX etc.) gewährleistet sind.
Was bei der Umsetzung von Service Management grundsätzlich zu beachten gilt, wurde bereits in folgenden Blog-Beiträgen erläutert:
- IT Governance – die Voraussetzung für gelebte Service Management Kultur
- Kommunikationskonzept: Vernachlässigter Erfolgsfaktor bei der Umsetzung von ITIL-Prozessen
- Von der Compliance-Administration zur Value Governance
- Ausgewogene Schul- und Werkbank für ITSM
- Plan – Do – Stop. Und das nach 20 Jahren ITIL Best Practice Erfahrung!
Pingback: Eine Roadmap zu ITIL Lite | Disruptive agile Service Management
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Vielen Dank für diesen Beitrag über Managed Services in einem cse controlled Service Environment. Interessant, dass oft verkannt wird, dass damit das gesamte Führungssystem erneuert wird. Ich möchte managed services implementieren und wollte mich daher hier mal informieren.