ITSM – Back to the future

Wenn man sich heute die vielen disruptiven Veränderungen anhört, so bleibt kein Stein mehr auf dem anderen. Neue Wege gilt es zu beschreiten und alte Zöpfe abzuschneiden. Mit agilen Methoden soll die behäbige IT aus ihrer Lethargie ausbrechen und mit kreativen Innovationen dem Business neue Türen öffnen. ITIL wird mit Wasserfall gleichgesetzt und als «von gestern» abgetan. Auf jeden Fall nicht mehr vereinbar mit der Welt der Unicorn’s, welche mit neuen Wegen den «Value» regelrecht zum Business hin katapultieren: Schneller – besser – sicherer. Um das schier grenzenlose Potential der IT Mitarbeiter ausschöpfen zu können, hat die Gilde der «Manager» abzutreten und den «Coaches» Platz zu machen.

Cloud-Computing ist kein Trend mehr – es ist praktisch überall bereits Realität. Und die damit entfachte Dynamik wird nun mit DevOps auf die gesamte Entwickler- und Betriebsorganisation übertragen.  Gemäss einer Studie von ServiceNow ist der «Tipping Point» bereits erreicht.  Wer jetzt die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt hat, wird wohl von Tatsachen überrannt werden. Viele Organisationen versuchen daher mit Bi-Modalen oder «Two-Speed» Strukturen, dieser Entwicklung Rechnung zu tragen und andererseits die Legacy-Welt möglichst stabil über diese stürmischen Zeiten zu retten.

So wie das klassische Projekt Management nun den agilen Methoden weichen muss, kann man sich zu Recht fragen, ob auch das IT Service Management ausgedient hat. Braucht es auch in Zukunft noch «Kümmerer» für IT-Services oder sind diese im Zuge der «CI/CD»-Bewegung überflüssig geworden? IT Service Management hat in den letzten 10 bis 15 Jahren viele Organisationen geprägt und ein Umdenken von primär auf Technologie-fokussierten Providern hin zu kundenfokussierten IT Service Providern bewirkt. Nur den wenigsten ist es wirklich gelungen, diese Denke ausserhalb vom IT Betrieb in die Entwicklungsabteilungen und IT Führungsetagen zu übertragen. Da sich der Betrieb nun quasi auflöst (DevOps = NoOps) und die Infrastruktur nichts mehr ist als eine Zeile Code – versendet via API zum Cloud Provider – gibt es bald niemanden mehr, welcher das Thema IT Service Management in der IT-Organisation als notwendig erachtet und der Disziplin die Stange hält.

Soweit wird es nicht kommen. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass IT Service Management gerade in dieser agilen Welt wichtiger denn je wird. IT Service Management wird an Bedeutung gewinnen, wenn die wild gewordenen Pferde (Unicorns, Horses) im Zaum gehalten werden müssen. Die Komplexität, IT Services über eine Vielzahl von externen und dynamisch ändernden Cloud-Service Providern zu einem ganzheitlichen Service zu aggregieren und deren Management zu integrieren (SIAM) während gleichzeitig cross-functionale DevOps-Teams (Tiger-Teams) kontinuierlich neue Updates einspielen, wird nicht kleiner. Die Orchestrierung bedingt eine gewisse Kontrolle, damit das Zusammenspiel aller Beteiligten den Business-Erwartungen entsprechen kann.

IT Service Management bedingt jedoch eine ganz andere Qualität, als dies heute in den meisten Organisationen umgesetzt worden ist. Während dort das Thema «IT Service Management» primär auf Prozesse beschränkt wurde und diese hauptsächlich zur Kontrolle der Abläufe ausgerichtet worden sind, muss ITSM nun konsequent auf zusammenhängende Services und auf die damit zu erreichenden Business- und Unternehmensziele ausgerichtet werden. Abläufe werden vermehrt automatisiert werden. Die Leistungen der einzelnen Parteien im neuen Service-Eco-System sind aber nun über Firmengrenzen hinaus auf den Business-Outcome auszurichten. Die externen Cloud-Service Provider liefern nur noch «Services» und diese gilt es zu managen. Wer bis jetzt die IT nicht auf der Ebene von Services geführt hat, wird einen steinigen Lernprozess auf sich nehmen müssen.

Auch wenn man «Release Build», «Test» und «Deployment» komplett zu automatisieren vermag, verbleiben etliche ITSM-Aufgaben, welche gerade in der neuen Welt an zusätzlicher Bedeutung gewinnen werden:

1. Service Catalogue – Request Fulfillment

Die IT-Organisation wird zum Service-Broker. Intern- oder extern entwickelte, oder einfach nur zur Nutzung freigegebene Apps von externen SaaS-Anbietern sind in einen zentralen Service Catalogue aufzunehmen und deren Qualitäts- und Kostenparameter zu definieren. Der so integrierte Service Katalog gilt es den Anwendern via einem zentralen Portal zur Verfügung zu stellen, wo diese die Services abonnieren (subscribe) und überwachen können.

Bestellte Services werden über definierte und automatisierte Workflows mit allen involvierten Parteien abgewickelt. Deren Nutzung und Kapazitätsbedarf gilt es zu überwachen und die verschieden anfallenden Kosten auf dieses Service-Abonnement zu mappen und dem Anwender in Rechnung zu stellen. Oder zumindest aufzuzeigen.

2. Incident & Problem Management

Störungen und Probleme wird es auch in der disruptiven Geschäftswelt geben. Ein Service Desk, welcher Incidents registriert und deren Behebung mit allen involvierten Parteien koordiniert, bedingt eine hohe Maturität, wenn er sich bei den externen Providern durchzusetzen vermag.

Auch Problem Management mit gemeinsamer Ursachen-Analyse bleibt für eine nachhaltig stabile Service Umgebung zentral und zudem eine wichtige Feedback-Quelle für die agilen Entwicklungsteams.

3. Change Management & Configuration Management

Changes werden zunehmen und jeder Provider wird sein eigenes LifeCycle Management betreiben. Die Koordination zwischen allen Beteiligten wird essentiell, um auch in der agilen Welt negative Überraschungen vermeiden zu können.

Zudem wird gerade in dieser dynamischen Welt die Nachvollziehbarkeit von Änderungen und das Vorhandensein eines «System of Records» zur Zerreissprobe. In stark regulierten Umgebungen müssen die einzelnen Veränderungen jederzeit überprüfbar und deren Freigabemechanismen verstanden werden.

Wer welche IT-Assets, Lizenzen und Software-Artefakte unter Kontrolle hat und diese aktuell und kontrolliert verwalten muss, ist vorgängig zu klären. Letztlich bleibt beim Kunden die Gesamthaftung und er ist gut beraten, die Prozesse und Verantwortlichkeiten zu klären.

4. Service Level Agreement

Anforderungen, und insbesondere die Non-Funktionalen oder auf «User-Experience» ausgerichteten Bedürfnisse gilt es auch in Zukunft abzustimmen. Eine Menge dieser Anforderungen lassen sich in die User-Stories der Entwicklungsteams integrieren und über den Development-Flow umsetzen. Aber trotzdem gilt es diesen zu überwachen und mit allen beteiligten externen Providern abzustimmen und end-to-end sicherzustellen.

Ich könnte hier noch weitere Themen auflisten, welche weiterhin an Bedeutung gewinnen werden. Alle haben aber eines gemeinsam: der Fokus wird auf den zu liefernden Service gelegt und weniger auf die einzelnen technischen Komponenten. Alle die gedacht haben, ITSM und ITIL seien «tot», werden früher oder später eines Besseren belehrt. ITSM – Back to the future.

Back to the Future - der FIlm
Back to the Future – der Film


 

2 Kommentare zu «ITSM – Back to the future»

  1. Hallo Martin,

    ich denke, wir werden eine Wiederauferstehung erleben. Es gab das Buch “Service Delivery” – die Prozesse, die viele Organisationen nur aus dem Buch kennen 😉 – Ich glaube, das Buch bzw. die enthaltenen Prozesse werden eine Renaissance erleben! SLM, Financial, Availability & Capacity. Und dazu kommen dann noch BRM, Servicekatalog und Providermanagement.
    Und Du selber brauchst ja nur mal ein Jahr zurückblicken: Da sprachest Du von den 7 Helden des wilden Servicemanagements. Erinnerst Du Dich noch: https://different-thinking.de/interview-martin-andenmatten/

    Robert

    1. Hallo Robert,

      danke – ja, ich erinnere mich nur allzu gerne. Tot gesagte leben länger 🙂
      Ich habe die Bücher verschlungen. Und ich war genauso euphorisch wie die Jungen heute mit den agilen Methoden. Letztlich sind es – wie Du gerne zu sagen pflegst – alles nur Hilfsmittel. Das Ziel einfach nicht aus den Augen verlieren – und nicht die Methode oder das Framework zum Ziel erklären.

      Gruss
      –Martin

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