Mit der neuen Version ITIL®4 wurde die Disziplin Service Management aus der vermeintlich alten, vergangenen Welt wieder ins Zentrum der aktuellen Realität zurück katapultiert. Nein, nicht bürokratische Prozesse sollen Services oder Produkte verwalten. Vielmehr sollen nun ganzheitliche Practices als strategische Fähigkeiten in der Organisation entwickelt und mit stetem Fokus auf den Mehrwert des Kunden ausgerichtet werden. Mit den sieben zentralen Prinzipien sollen die wesentlichen Werte der Service Organisation immer wieder überprüft werden, bevor wesentliche Entscheide bei der Gestaltung und Umsetzung in der Service Betriebsorganisation gefällt werden. Agilität ist nicht einfach eine neue Methode, sondern in der DNA des neu geschaffenen Service Value Systems verankert.
Diese neue Botschaft kommt in den Unternehmen sehr gut an. Endlich hat sich das Framework den neuen Entwicklungen geöffnet und eine Brücke zu den neuen Technologien, der Automatisierung und den neuen agilen Methoden geschaffen. Es wurde dem Versuch widersprochen, neue agile Ansätze zu definieren. Vielmehr wurde die Koexistenz der verschiedenen Ansätze unterstrichen und damit den Weg bereitet, das bestehende, oft starre IT Service Management in ein agiles Service Management zu transferieren.
Ein zentrales Konzept im neuen Service Value System von ITIL®4 ist der Service Value Chain mit den nun neu auszugestaltenden Service Value Streams. Wertketten und Wertströme sind nicht wirklich neu, sondern aus dem Lean Management abgeleitet. Das aus der Optimierung der Fliessbänder von Toyota abgeleitete Konzept zur Identifizierung und Vermeidung von Verschwendung in der Produktionskette entstandene Lean Management besteht im Grunde bereits seit Mitte des 20. Jahrhunderts und wurde in verschiedenen Management Bereichen angewendet. So nun auch im Service Management. Nur: wie wendet man dieses Konzept konkret an? Wie identifiziert und optimiert man seine Value Streams? Wie transformiere ich eine durch viele einzelne Prozesse fragmentierte IT Service Management Organisation hin zu einer nach End-to-End Value Stream ausgerichteten Service Management Organisation mit gemeinsamer Sicht auf Vision und Mehrwert?
Dieser Frage sind wir im Rahmen eines intensiven Workshops mit dem Service Management Team der Schweizerischen Post nachgegangen. Wichtig war zu beginn ein gemeinsames Verständnis, was der Unterschied von Prozessen zu Praktiken und auch zwischen Prozessen zu Value Streams sind. Auch das Verständnis von Value-Generierung, Verschwendung, Arbeitsfluss, Durchlaufzeit und effektive Arbeitszeit waren zu Beginn wichtige Voraussetzungen, um gemeinsam an einem Value Stream arbeiten zu können.
Bei der Identifikation eines Value Streams ist es ideal, wenn die gesamte Wertkette von der Kundenanfrage bis hin zur Bereitstellung des Service oder Produktes betrachtet werden kann. In unserem Workshop betrachteten wir den allgemein bekannten Vorgang von der Bestellung eines Elektronischen Arbeitsplatz mit Notebook bis hin zur Bereitstellung eines gemanagten Arbeitsplatz-Services. Dieser scheinbar triviale Ablauf haben wir in vier Phasen unterteilt: Auswahl & Bestellen, Prüfen & Freigabe, Beauftragen & Ausliefern sowie Überwachen & Abrechnen. Die Frage stellte sich gleich zu Beginn: wo starten wir? Vom Anfang des Werteflusses – oder beim erwünschten Ergebnis?
Traditionell wurde wohl der Prozess von der Bestellung aus betrachtet und bis hin zur Auslieferung entwickelt. Wenn nun der Fokus auf den Mehrwert beim Kunden gelegt werden soll, muss dieser Mehrwert auch zuerst klar verstanden werden. Das heisst, das Ergebnis, der Outcome muss der Start unseres Designs werden. Nun wurde im Rahmen des Workshops bald mal erkannt, dass das Ergebnis einer Bestellung eines Arbeitsplatz-Systems nicht einfach eine Bereitstellung eines Notebooks alleine darstellen kann. Vielmehr soll dieser Arbeitsplatz gemanagt werden und in den Support, Lifecycle, Security und Überwachung integriert werde können.
In zwei Teams wurde nun der Value Stream von zwei Seiten erarbeitet. Ein Team vom Outcome des Value Streams her, das andere vom Input ausgehend. Spannend zu sehen waren die verschiedenen Problemzonen auf dem Weg vom Input zum Outcome. Viel Verschwendung wurde geortet rund um die Sicherstellung aller notwendigen Angaben, bis ein Auftrag zur Bereitstellung des Arbeitsplatzes beisammen sind. Kosten- und andere Freigabestellen, Rollen und Berechtigungen, Identity und Passwort-Angaben, Lizenzen und Verrechnungsmodelle. Oder auch Input-Felder wie beispielsweise ein «Bemerkungsfeld», was letztlich niemand in der Abwicklung des Auftrages wirklich benötigt. Auch Medienbrüche und Warteschlangen können als Problemzonen identifiziert werden. All diese Problemzonen gilt es systematisch aufzunehmen und mittels geeigneter Problem Management Methoden wie beispielsweise dem Problemlösungskreis mit den 6-Schritten systematisch analysiert und behoben werden.
In der anschliessenden Betrachtung des so aufgezeichneten Value Streams wurden die verschiedenen ITIL®-Praktiken identifiziert, welche in der Abwicklung der Kundenbestellung in Anspruch genommen wurden. Dies waren an diesem Value Stream: Service Katalog, Request Fulfillment, Infrastructure Management, Identity & Access Management, Asset Management, Service Configuration Management, Change Enablement, Event & Monitoring, Service Desk, Financial Management und Information Security Management. Jede dieser Praktik muss nun einen optimalen Beitrag auf dem Weg zur Mehrwert-Gewinnung des Value Streams leisten können. Diese nun durch ITIL®4 bereitgestellten Praktiken können helfen, einen optimierten Value Stream mit allen vier Dimensionen (Mitarbeiter und Organisation, Informationen und Technologie, Value Stream und Prozesse sowie Partner und Lieferanten) zu designen.
Hier liegt eine der zentralen Erkenntnisse in diesem Workshop. Wenn bis anhin der Fokus in den Leistungen des jeweiligen Prozesses gelegen hat, wird plötzlich das Zusammenwirken der Praktiken bis hin zum angestrebten Mehrwert augenfällig. Das Ausrichten der Prozesse auf das Gesamtergebnis scheint den Workshop-Teilnehmern nun viel zentraler als das Messen irgendwelcher selbstdefinierter KPIs. Auch den so demonstrierten Fokus auf den Mehrwert und die damit gewonnene Erkenntnis, dass alle am Value Stream beteiligten Mitarbeitern nun eine bessere Identifikation ihrer Leistung mit dem Gesamtergebnis möglich wird, wurde als eine der Hauptnutzen aus diesem Workshop betrachtet.
Auch der Wandel vom klassischen IT Service Management hin zu einem agilen Service Management stellt eine Transformation der Organisation dar. Letztlich ist es ein kultureller Wandel weg vom Silo-Denken hin zu einer ganzheitlichen Sichtweise, welches das Unternehmen wirklich weiterbringen kann.
Auch die Erkenntnis, dass Agilität nicht Chaos bedeutet sondern wirkungsvoller Beitrag zur Qualität, hat die Workshop-Teilnehmer letztlich überzeugt. Die sieben Prinzipien des agilen Service Management bildet dabei eine gute Grundlage für das Verständnis im Team.