ITIL® oder FitSM? Nicht bloss eine Frage des Kommerz!

Service Management ist mehr als die zur Verfügung stehenden Best Practice Rahmenwerke. Letztere sind jedoch eine wichtige Orientierungsgrundlage, wenn es darum geht, Service Management zu planen und in der eigenen Organisation umzusetzen. Gerade in IT-Betriebsorganisationen hat ITIL® als das international anerkannte Best Practice Rahmenwerk die letzten 20 Jahre einen unverzichtbaren Beitrag geleistet, Transparenz und Strukturen in den IT-Organisationen aufzubauen.  In Heerscharen wurden die Mitarbeiter zur Schulung und zur Zertifizierungsprüfung geschickt, um das KnowHow und das Gedankengut bezüglich Service- und Kundenorientierung in der Organisation zu verankern. Insbesondere die IT-Service Management Prozesse haben stark dazu beigetragen, wichtige Verantwortlichkeiten und Aufgaben zu definieren und prozessorientiert zu organisieren.

Zwischenzeitlich ist jedoch auch viel um den Brand ITIL® selbst geschehen. In 2013 hat das englische Cabinet Office (CO) 51% an das Unternehmen Capita verkauft. Mit der Bildung des Joint Venture Unternehmens Axelos hat das Framework seine kommerzielle Unschuld verloren. Capita war primär an der Gewinnabschöpfung interessiert und weniger anderen kostenintensiven Weiterentwicklung, welch nunmehr nicht mehr durch unentgeltliche Autoren alleine erfolgte. Nachdem der Markt an Examination Institutes von ursprünglich 7 auf 1, auf Peoplecert dezimiert wurde, war der Einfluss des Marktes sehr stark unterbunden worden. Und nun hat Capita – wohl getrieben aus Geldnöten – seine 51% an Axelos weiter veräussert. Ausgerechnet an Peoplecert. Das Framework ist nun vollends in den Händen eines auf das Zertifizierungsgeschäft ausgerichteten Unternehmens gelandet. Und als erste Massnahme werden nun ab Februar 2022 die Prüfungsgebühren erhöht. Nicht nur das: mit der Prüfung muss gleichzeitig auch das Buch hinzugekauft werden, ob man will oder nicht. Auch wenn man das Buch bereits anderweitig erhalten hat – die elektronische Version gibt es mit entsprechenden zusätzlichen Kosten zusammen mit dem Online-Prüfungsvoucher. Prüfungen beim Ausbildungsanbieter werden nicht mehr möglich sein.

Ob ein Best Practice Framework über die Zeit für die Organisation relevant bleibt, zeigt sich daran, wie sich das Framework selbst weiterentwickelt und den verändernden Bedürfnissen im Markt anpasst. Hier hat sich ITIL nach einer langen Pause von 2011 bis 2019 endlich eine neue Version gegönnt: ITIL®4. Mit dieser neuen Version wollte man den sich immer mehr auf agile Arbeitsweisen veränderten Organisationen und den aufkommenden neuen Technologien wie Cloud und künstliche Intelligenz einen Ansatz aufzeigen, wie Service Management auf diese neuen Werte adaptiert werden kann. Die in den agilen Organisationen oft als starr und bürokratisch angesehenen ITSM-Prozessen will man nun mit adaptierten agilen Prinzipien und einer Wertketten-Betrachtung in den Hintergrund stellen und mit einem Fokuswechsel auf ganzheitliche «Praktiken» lenken. Dies führt zwangsläufig zu einer mehr systemischen Betrachtung von Service Management und nicht mehr zur bodenständigen Prozesssicht der im Alltag anzutreffenden Aufgaben. Denn diese Details werden nicht mehr vermittelt und finden sich, wenn überhaupt in den separat verfügbaren Practice-Guides.

So kommt es nun, dass viele Organisationen bei der Entsendung ihrer Mitarbeiter in eine Service Management Ausbildung feststellen müssen, dass diese die Komponenten des Service Valuesystems vermittelt erhalten, jedoch nichts Konkretes, um in ihrem Alltag die Service Aufgaben wahrzunehmen. Aufgaben und Zusammenwirken von Incident, Problem, Configuration und Change Management sind schlicht nicht mehr Ausbildungsgegenstand in ITIL Foundation Trainings.

FitSM Ausbildungsbadge

Der Bedarf nach solchen prozess- und praxisorientierten Ausbildungen ist in vielen Organisationen jedoch sehr gross. Und es gibt auch eine echte Altarnative: FitSM. Dieses als leichtgewichtiges IT Service Management Framework bezeichnete Rahmenwerk orientiert sich an den 14 Prozessen, welche vom ISO/IEC 20000 Standard her bekannt sind:

  • Service Portfolio Management (SPM)
  • Service Level Management (SLM)
  • Service Reporting Management (SRM)
  • Service Availability & Continuity Management (SACM)
  • Capacity Management (CAPM)
  • Information Security Management (ISM)
  • Customer Relationship Management (CRM)
  • Supplier Relationship Management (SUPPM)
  • Incident & Service Request Management (ISRM)
  • Problem Management (PM)
  • Configuration Management (CONFM)
  • Change Management (CHM)
  • Release & Deployment Management (RDM)
  • Continual Service Improvement Management (CSI)

Mit einer solchen Ausbildung sollen Ziele, Aufgaben und Rollen sowie deren Zusammenwirken vermittelt werden und damit die Grundlagen eines steuerbaren Service Management Systems.

Es ist nicht das Ziel dieses Blogs, das eine Framework über das andere zu stellen. Vielmehr ist es mir wichtig, dass sich Organisationen über das Ziel und den Inhalt der Ausbildung in ihre Mitarbeiter klar werden. Was sollen die Mitarbeiter kennen und können, nachdem sie die Ausbildung abgeschlossen haben. Diese Fragen sollen sie unbedingt im Voraus mit ihrem Ausbildungspartner klären, wenn dieser nicht bereits selbst für Aufklärung sorgt.

Die Glenfis AG hat ihr Ausbildungsportfolio bewusst auf diese verschiedenen Bedürfnisse des Marktes ausgerichtet. Neben ITIL® und ISO/IEC 20000 schulen wir auch FitSM, um ganz bewusst auch praxisnahen und prozessfokussierten Organisationen die notwendige Ausbildung zu ermöglichen.  

8 Kommentare zu «ITIL® oder FitSM? Nicht bloss eine Frage des Kommerz!»

  1. Hallo Martin, du schreibst so richtig, dass es nicht um ein besseres oder schlechteres Framework geht. Es darum, ob es der Aufgabenstellung gerecht wird und dem Unternehmen hilft. Sowohl ITIL als auch FitSM sagen von sich, dass sie für alle Größen von Unternehmen passen. Ich bin der festen Überzeugung, dass ITIL “zu groß” für kleinere Unternehmen ist und FitSM für größere nicht umfangreich genug.
    Ich erlebe mittlerweile immer mehr kleinere Service Provider in meinen Trainings, die mit 6-12 Mitarbeitern sich dem Thema IT Service Management widmen. Oder sogar DevOps-Teams, die mittels FitSM das Thema ITSM in den Teams angehen. Übergreifend finde ich den Ansatz der Wertschöpfungskette bei ITIL4 sehr gelungen, weil man damit auch inhaltliche Verbindungen zu DevOps gestalten kann. Ich freue mich, dass die Glenfis nun auch FitSM im Programm hat.

  2. Es ist und bleibt eine Frage des Geschmacks, noch schlimmer – der (so vorhanden) Professionalität. Im Service Management hat sich mit dem ITIL® für etwa 2 Dekaden ein interessantes Framework etabliert. Aber bei schon bei der Einordnung “interessant” scheiden sich die Geister. Während einerseits viele IT-Organisationen und deren Akteure mit dem gesammelten und aufbereiteten Wissen einiges anzufangen wussten, machte der IAK daraus eine Gelddruckmaschine.

    Und so blieb es nicht aus, dass sich ein Teil der IT-Manager sowie der IAK insgesamt schon lange nach einer vierten Auflage Ausschau hielten; während der andere Teil mit den Ideen und Ansätzen der V3 reloaded mehr als genug Impulse für die eigene Arbeit hatte.

    Den Prozess des Verfangens in die Zertifizierungsorgie habe ich nie für gut empfunden. Gleichwohl war ich irgendwie dabei und wohl auch gezwungen, mitzumachen. Spätestens 2008 mit meinem Wechsel auf die Anbieterseite waren Zertifikate wie die Führerscheine der Eintritt zum Mitmachen (hier: Projektarbeit). Völlig hirnlos diese Praxis, da kein Schein den Beleg dafür antreten konnte, ob der/die Inhaber/-in tatsächlich Ahnung von IT und/oder von Service Management hat.

    Martin, du hast die Historie ganz gut beschrieben. Schon bei der Gründung von Axelos war ich mega skeptisch (hat sich bestätigt) und was gerade geschah, bestätigt mich: solange es Trottel gibt, die für irre viel Geld Allgemeinwissen kaufen, ist das Geschäftsmodell valide. Meine Erfahrungen zeigen: Kommst du erstmalig bei einem Kunden in ein Büro eines IT-Managers, der in seinem Regal ganz viele diese Bücher stehen hat, weiß ich: Peter, fang gaaaanz unten an.

    Service Management ist erwachsen geworden. IT-Abteilungen in der bekannten Form findet man immer weniger. Provider Management, Service Brokerage sind inzwischen Disziplinen, die es zu beherrschen gilt. Da sind andere Kompetenzen gefragt, als die, die der IAK (Toolanbieter, Schulungsindustrie, Berater, Schlaumeier) typischerweise im Portfolio hat. Allerdings lassen sich operative Supportprozesse und Kennzahlen wie First-Fix-Rate (klingt alt, fand sich in der vergangenen Woche in einer Projektanfrage wieder) gut und schnell verkaufen. Offensichtlich für viel Geld.

    Ob FITSM eine brauchbare Alternative ist, darf jede/r selbst entscheiden. Es ist nicht falsch, sich damit zu beschäftigen. Allerdings: wer kein professionelles Verständnis (s.o.) von der Materie hat, wird weder mit FITSM noch einem anderen Ansatz glücklich (und erfolgreich). Es bleibt wohl eine Dauerbeschäftigung, die Lösungen gut funktionierender (IT) Service Organisationen zu bewundern und den Kopf bei all jenen zu schütteln, die mehr oder minder bereitwillig sich weiter abzocken lassen.

    Schöne Sonntagsgrüße aus München, Peter

    1. Martin Andenmatten

      Danke Peter,
      es ist ja grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden, wenn sich Business-Opportunitäten öffnen, dass man diese auch nutzt. Aus- und Weiterbildungen sind dabei sicher ein wichtiger Faktor für die Wirtschaft. Wenn es um die breite Masse geht, da bin ich schon der Meinung, dass eine strukturierte und vor allem Praxis-relevante Weiterbildung zwingend wichtig ist. Wenn der Kontakt zum Boden verloren geht, dann schwindet diese Tauglichkeit für das Tagesgeschäft schnell.

      1. Stimmt Martin,

        Geldverdienen ist doch nicht verboten, oder?

        Kritik dazu war auch nicht mein Ansatz. Vielmehr ging es mir um die dauerhafte und konsequente Verwässerung von Ideen, die in den Frameworks stecken. Und um das Abtöten eigener Ansätze. Klingt ziemlich dramatisch – ist auch so gemeint.

        Ich war ja nur wenige Jahre Berater; sehr viele Jahre IT-Leiter/CIO. In den letzten sechs Jahren habe ich in der Rolle eines Anwendervertreters erleben müssen, wie plakativ Anbieter auf den Mittelstand losgehen (Ham se schon mal was von ITIL gehört?) und regelrecht Dummenfang betreiben.

        Selbst in der Zeit als Berater habe ich bei einem Mehrjahresprojekt bei einem DAX-Unternehmen Kämpfe erlebt, die nicht nur unsinnig sondern komplett sinnfrei machen. Definition des Service-Begriffs; Differenzierung von Service- bzw. Change Request; Standard- oder Normal Change; Definition von Kennzahlen für SLAs nebst der Prosa dazu … ich habe mich manchmal gefragt, warum Theoretiker vs. Praktiker für den Kunden (=Auftraggeber) einen Hauch von Nutzen darstellen soll. Abends beim Bier konnte mir niemand eine schlüssige Antwort liefern.

        Die Berater/Anbietergilde (stückweit zähl ich mich auch noch dazu) nimmt sich mit den Frameworks im Gepäck viel zu wichtig. Die Unsummen, die Projekte rund um das Service Management verschlungen haben, haben nach meiner Einschätzung nur einen minimalen Fortschritt gebracht. Selbst die vielbeschworene Sprachangleichung (“Man versteht ja, wenn man “Change” (o.s.ä.) sagt) wirkt in der Realität wie ein Plazebo – eine Beruhigungspille (Es war ja nicht alles schlecht!).

        Doch! Die allerwenigsten Projekte haben jemals das Überqueren einer Ziellinie erlebt, geschweige im Management/Business die Erwartungen erfüllt. Die ständig steigende Schatten-IT zeugt davon, dass Fachbereiche mehr den externen Anbietern vertrauen, als der eigenen IT-Mannschaft. Ich weiß wovon ich spreche; meine letzten drei Interim Mandate haben von vielen Problemstellungen primär diese Herausforderung gehabt, Vertrauen aufzubauen und ein Miteinander zwischen IT und Business hinzubekommen. Es ist ein harter und andauernder Kampf. Und es ist dabei völlig egal, welches Framework da gerade zu Anwendung kommen soll.

        Ergo – die Zeit des IAK ist definitiv vorbei. IT-Manager fahren eigene Ansätze, nur die wenig Inspirierten vertrauen noch immer Beratern. BTW: Ich habe ein Papier von Projektvermittlern (hat eine Organisation im Auftrag erstellt) erhalten, indem exakt identische Schlüsse gezogen werden. Nicht umsonst treten genau diese Firmen verstärkt als Auftraggeber auf, um sich in diesem Geschäftsfeld mit neuen Business Modellen zu etablieren. Service Brokerage gehört übrigens dazu.

        Wenn wir als Berater/Anbieter oft und gerne den Wandel, die Veränderungen thematisieren, dann sollten wir uns (als Branche gesehen) als Sanierungsfall betrachten und mal genau darüber nachdenken, wie wir echte Mehrwerte, erwirtschaftet durch unsere Arbeit, den Unternehmen angedeihen lassen können.

        Beste Grüße, Peter

        1. Martin Andenmatten

          Da gebe ich Dir natürlich gerne recht. Man darf sich als Berater nicht zu wichtig nehmen. Aber wenn es einem die Kunden so leicht machen, dass man ihnen ein A für ein O vormachen kann, dann zieht man solches Volk auch an. Vertrauen ist die Grundlage des Beratergeschäfts. Aber es sollte eben nicht blindes Vertrauen sein. Frameworks sind keine Gesetze sondern bloss Hilfestellungen. Damit kann ich grundsätzlich gut starten. Aber ich muss wie Du sagst, die Ziele der Organisation im permanenten Fokus haben. Du bist ja wie ich auch schon ewig lange in dem Geschäft und hast erfahren dürfen, dass sich die Erde eben doch dreht. Daher haben wir schon einiges kommen und gehen sehen. Deswegen wollen wir jungen Beratern welche noch eher unbelastet von solchen Erfahrungen deren Euphorie nicht verderben. Ich bin überzeugt – letztlich gewinnt nur was Erfolg bringt.
          Liebe Grüsse aus Zürich
          –Martin

  3. „Essentially, all models are wrong, but some are useful“, auf Deutsch etwa „Ihrem Wesen nach sind alle Modelle falsch, aber einige sind nützlich“. Wikipedia
    Quelle: https://beruhmte-zitate.de/autoren/george-box/

    Leider werden Frameworks zu selten als Blaupausen zur Organisationsentwicklung verstanden, sondern häufig technokratisch als Implementierungsvoschrift genutzt.
    Dadurch entstehen nicht selten starre Prozesssilos und Funktionen.

    Zunehmend müssen sich jedoch Unternehmen auf Veränderungen immer zügiger und flexibler mit attraktiveren Produkten oder Dienstleistungen in ihren Märkten behaupten. Das geht gleichzeitig einher mit der Optimierung von Opportunitäts- und Betriebskosten.in Verbindung mit Automatisierung, AI und ML.

    Starre ITIL-basierte Funktionen und Prozesssilos werden vor diesem Hintergrund selbst in regulierten Branchen immer häufiger durch netzwerkartige Topologien abgelöst, die ganzheitlich entlang von Wertschöpfungs- und Lieferketten organisiert sind.
    Erfolgskritisch ist dabei die effiziente Orchestrierung von ITIL-Praktiken in agilen Betriebs-und Betreiber-Modellen.
    Frameworks, wie ITIL 4, FitSM und SIAM liefern dazu bestenfalls nur ansatzweise Antworten für reale Herausforderungen in den Unternehmen beispielsweise im Hinblick auf das Multi-Cloud Management.

    Viele Grüße,
    Davor.

    1. Martin Andenmatten

      Danke Davor
      Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen – ich stimme Dir voll und ganz zu. In der Umsetzung liegt die eigentliche Herausforderung und da braucht es neben dem vielen Wissen auch ein Gespür für die Organisation, das Betriebsmodell und das Machbare, sprich Sinnvolle. Auch wenn die Welt komplexer wird, braucht es einfache und nachvollziehbare Betriebsmodelle, welche die Leute beherrschen können. Ein guter Kollege von mir sagt immer: es braucht nicht nur KnowHow sondern vor allem auch DoHow.
      Liebe Grüsse
      –Martin

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